
18 Jul Le peuple c’est moi!
Bereits im letzten Präsidentschaftswahlkampf versprach Marine Le Pen eine Renaissance der Demokratie. Historisch hatte die extreme Rechte den Parlamentarismus und generell die Demokratie als Staatsform abgelehnt. Le Pen stellte in einem CNN-Interview klar, dass sie nicht in die Schublade der extremen Rechten gesteckt werden möchte und sagte, sie respektiere die Demokratie. Was als Bruch mit der eigenen Vergangenheit verkauft wird, ist tatsächlich ein Versuch, die Demokratie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Die extreme Rechte zielt auf eine autoritäre Uminterpretation der Demokratie als Staatsform ab.
Zwei Probleme der Ethnokratie
Die autoritäre Rechte sieht sich heute gerne in der Rolle der Verteidigerin der Demokratie. Als Repräsentantin des «wahren Volkes» gegenüber einer dominanten liberalen Elite. Zu diesem «wahren Volk» zählen allerdings nicht in erster Linie die Abgehängten, die von städtischen, progressiven und gebildeten Eliten dominiert werden. Das ist lediglich Fassade, um dem Unterfangen einen legitimen Anstrich zu verpassen. Gemeint ist stets ein Volk, das durch eine gemeinsame Einheitskultur verbunden ist. Das «wahre Volk» der autoritären Rechten deckt sich mit der Nation.
Dass in einer solchen Ethnokratie eine nationale Bevorzugung bestehen soll, versteht sich für die autoritäre Rechte von selbst. Le Pens Partei Rassemblement National spricht von einer «préférence national», Donald Trump bevorzugt den Slogan «America first».
Die Ethnokratie der autoritären Rechten beruht massgeblich auf einem Ausschluss all jener, die in ihren Augen nicht Teil der Nation sein können. Damit stehen sie allerdings in krassem Widerspruch mit dem Ideal der Demokratie. Es stellen sich nämlich zwei Probleme: Einerseits das Boundary Problem der Demokratie. Andererseits die normative Rechtfertigung der Demokratie als Staatsform, also die Antwort auf die Frage, weshalb wir in einer Demokratie leben sollen.
Das Boundary Problem
Wie viele Vertreterinnen der autoritären Rechten sagt auch Marine Le Pen, der einzig existierende Souverän, also der Inhaber der Staatsgewalt, sei das Volk. Anders ausgedrückt, die enorme Macht, die der Staat ausübt, kann legitimerweise nur das Volk an Parlament und Regierung übertagen. Soweit ist die Aussage kompatibel mit einer breit geteilten Auffassung, was Demokratie ausmacht. Da alle Individuen auf einem bestimmten Territorium der Macht einer Regierung unterworfen sind, ist die Frage, wer zum Volk gehört und dadurch mitentscheidet, wer die Regierung stellen darf, von fundamentaler Bedeutung.
In einer Demokratie müsste die Frage, wer zum Volk gehört eigentlich demokratisch entschieden werden. Würden wir die Frage «Wer gehört zum Volk?» zur Abstimmung bringen, wüssten wir allerdings gar nicht, wem wir sie vorlegen müssten. Wer entscheiden soll, ist ja gerade die Frage, für die wir eine Antwort suchen. Das ist das boundary problem oder anders ausgedrückt, eine Demokratie kann den Demos (=das demokratische Volk) und damit die Grenzen ihrer Mitgliedschaft nicht durch Abstimmung festlegen.
Das boundary problem ist ein normatives Argument, sprich es geht der Frage nach wie etwas sein soll. Man könnte das als theoretischen Humbug aus dem Elfenbeinturm abkanzeln, aber das boundary problem hat sich in jedem historischen Fall gestellt, wenn eine Demokratie begründet wurde, und es beschäftigt jede Demokratie bis heute.
Das Rechtfertigungsproblem
Nach jeder demokratischen Transition musste entschieden werden, nach welchem demokratischen Prinzip das Stimmrecht verteilt wird. Das Patriarchat konnte sich lange Zeit mit der Forderung durchsetzen den Frauen das Stimmrecht zu verwehren. Das Prinzip «Nur Männer dürfen abstimmen» lässt sich aber nur im Hinblick auf das Patriarchat rechtfertigen. Demokratieverträglich ist es nicht.
Dasselbe Problem stellt sich für die Ethnokratie, wie sie Le Pen und dergleichen vorschwebt. Der Demos ist nicht deckungsgleich mit einer ethnischen Volksgemeinschaft à la Le Pen. Es geht hier nicht lediglich um das Phänomen der Einwanderung sondern um die Existenz ethnischer und anderer Minderheiten auf allen Staatsterritorien. Ausserdem bräuchten wir klare Kriterien, um festzustellen, wer zu einer Kultur gehört und wer nicht. Wer sich an eine solche Aufgabe heranwagt, muss dem Mythos der Einheitskultur früher oder später ins Auge sehen.
Unabhängig von diesem Zuschreibungsproblem liesse sich die Ethnokratie jedoch nicht rechtfertigen. Zum einen ist es nicht notwendigerweise der Fall, dass die Existenz einer Kultur die Existenz einer anderen gefährdet. Zum anderen etabliert die Bewahrung und Bevorzugung einer bestimmten Kultur eine Machtausübung von einer Gruppe von Menschen gegenüber einer anderen. Dies widerspricht jedoch dem Ideal einer Demokratie, deren Sinn es ist, eine Kontrolle der Mächtigen durch alle zu ermöglichen, die dieser Macht unterworfen sind. Die Ethnokratie verkehrt diesen Wert der Demokratie ins Gegenteil.
Die demokratische Renaissance der autoritären Rechten entpuppt sich damit als kläglicher Versuch einen Widerspruch zu verschleiern. Den Widerspruch einer autoritären Demokratie, in der eine nationalistische, weisse, christliche Mehrheit ihre Macht über alle anderen ausübt.
No Comments